Ich bin das erste mal mit dem Auto unterwegs in Apulien und will viel sehen. Von Vieste, dem touristischen Zentrum des Gargano, nach Taranto, das touristisch ein Schattendasein führt, aber meinen Entdeckergeist weckt. Entspannung pur ist dann in Adelfia.
Vieste
" Hübsch ist es schon." denke ich als ich Vieste so betrachte. Die Palmen am Lungomare, die Altstadt liegt leicht erhöht im Hintergrund, die Neustadt wirkt in der Dämmerung fast orientalisch mit ihren weißen Häusern und Kuppeln. Ja hübsch ist es und scheinbar perfekt gemacht für Postkartenfotos oder die Cover von Apulienreiseführern und fast ein bißchen too much wie der berühmte Pizzomunno abends mit rosa Licht bestrahlt wird. Aber bei mir will sich das ersehnte Apuliengefühl trotzdem nicht einstellen. Bin ich inzwischen zu verwöhnt, waren die Erwartungen zu hoch, liegt es an der Unterkunft , die lieblos und billig eingerichtet ist oder suche ich nicht eigentlich, was ganz anderes? Was?
Das Highlight dieser drei Tage in Vieste ist für mich jedenfalls eine Bootstour entlang der Küste des Gargano in Richtung Mattinata. Wow! Es mag sein, dass die Küstenstraße ähnlich atemberaubend ist, aber als Autofahrer sieht man nicht viel davon, denn es gibt kaum Haltebuchten. Die Bootstour lohnt sich also in jedem Fall! ( 20 Euro für ca. 2 Stunden Fahrt). Nördlich von Vieste gibt es auch einen schönen Wanderweg Richtung Peschici.
Nach drei Tagen verlassen wir Vieste. Für das nächste Ziel, Taranto, entscheide ich mich für die Strecke durch die Murge, eine Kalkhochebene, und für die Landstraße, weil man hier ab und zu anhalten kann, um die Landschaft mit den blühenden Mohnfeldern zu bewundern. Für den Tag sind allerdings heftige Gewitter angesagt und da können sich Landstraßen schnell in kleine Bäche verwandeln. Gegen Mittag wird der Himmel düster und ich lasse das nur 20 km entfernte berühmte Castel del Monte, das ich eigentlich unbedingt sehen wollte, links liegen.
Taranto
Über ->Matera geht es nach Taranto und wir merken gleich bei der Ankunft: Taranto ist echter Kontrast zu Vieste. Zu trauriger Berühmtheit wurde es durch den Umweltskandal im nahe gelegenen Stahlwerk Ilva. Bekannt ist es außerdem wegen seiner ->Osterrituale und der ->Tarantella. Große Teile der Altstadt von Taranto sind seit den 60er Jahren unbewohnt, viele Häuser Ruinen, die von Graffiti-Künstlern bemalt sind. Auf einer Mauer steht: "Ich will ein Leben, ich will es voller Ärger. Frei zu träumen..." Auf einer anderen: "Unser Neffe ist geboren." Die Gassen sind im Vergleich zu den meisten anderen Altstädten in Apulien dunkel, geheimnisvoll, anfangs etwas beunruhigend. Das ist das andere Apulien: ein bißchen wild, archaisch und ich hab das Gefühl: hier gibt´s was zu entdecken, das ist eine Stadt mit einer einzigartigen Geschichte und Mentalität.
Ein Ausflug nach Martina Franca begeistert meine Mitreisende, mir erscheinen die verschnörkelten Barockfassaden plötzlich zu aufgemöbelt. Dass ich mich in Taranto wohler gefühlt habe als in Vieste lag sicher auch an unserem schönen Appartement im Palazzo Ulmo und unseren Gastgebern, die uns viel über die Stadt erzählt haben. Über Taranto werde ich in jedem Fall noch einen ausführlichen Bericht schreiben.Taranto ist allerdings eine Stadt, in der man nicht leicht zu Ruhe kommt: viel Verkehr und Gewusel.
Ein bißchen Salento
Ein Abstecher nach San Pietro in Bevagna: das sollte eigentlich ein Entspannungs- und Strandtag werden, aber es ist kühl geworden, windig und wolkig: kein Badewetter. Stattdessen entspannen wir im Garten unserer neuen Gastgeber, die sich nur 200 Meter vom Meer entfernt eine Oase der Ruhe geschaffen haben: Olivenbäume, Pfefferbäume, Rosmarin und Thymian wachsen hier und wir entdecken in der Nähe diese uralten, verknöcherten ->Olivenbäume, die ihre Äste in den wolkigen Himmel strecken.
Adelfia ...und dann das Meer
Weil es mir im Oktober so gut gefallen hat, will ich die letzten Tage wieder in Adelfia verbringen. Vor dem B&B blüht gerade ein riesiger Jasminstrauch. Die Atmosphäre in Adelfia ist irgendwie märchenhaft: warm, hell, freundlich, lebhaft aber nicht lärmend oder aufgemotzt. Nach dem rauhen, wilden Taranto finde ich hier wieder das sanfte Apulien.
Da sich kaum ein Tourist hierher verirrt, ist es mir unangenehm, mit der Kamera durch die Gegend zu laufen. Ich lasse die Kamera für die letzten Tage im Appartment, knipse nur noch ab und zu mit der kleinen analogen und lasse am Strand die Seele baumeln. Kein Lärm mehr, kein Verkehr, nichtmal Wind, nur noch Meeresrauschen, Möwen, Zikaden, Schmetterlinge. Ich leg mich auf die warmen Felsen, beobachte die Angler, die in drei Stunden nur einen einzigen Fisch fangen, was sie aber gar nicht zu stören scheint und ich merke, jetzt bin ich mit allen Sinnen angekommen.
Jemand hat am Strand ein Schild gemalt, auf dem steht: "Das ist nicht der Moment, darüber nachzudenken, was du nicht hast. Denk lieber daran, was du tun kannst, um die Schönheit dessen zu bewahren, was du hast." In Berlin würde ich mich über solche "Weisheiten" ärgern, aber hier kann ich es voll und ganz annehmen.
Fazit:
1. Der Wunsch, viel zu sehen, hat dazu geführt, dass einiges zu schnell an mir vorbeigerauscht ist.
2. Wie und wo man übernachtet ist ausschlaggebend dafür, wie tief man in das Lebensgefühl Apulien eintaucht.
3. Sanftes, liebliches Apulien oder lieber archaisch, rauh und wild? Apulien lebt von seinen Unterschieden.
P.S. Beim Ansehen der Bilder habe ich gemerkt, wie sich mein Blick während der Reise verändert hat: am Anfang auf der rastlosen Suche nach möglichst "guten" Bildern, am Ende nur nur Schnappschüsse mit der Kamera, an der sich nichts einstellen lässt. Am Strand nur noch Bilder aus der Horizontalen. Und jetzt sind es diese analogen, unbearbeiteten Bilder, die mich am meisten zum Träumen bringen, wie in dem Lied -"Hotel Sunshine: " ..auf dem blassen Polaroid, Licht aus der Vergangenheit..."
In den Gassen von Taranto
Fliegende Fische auf halb verfallene Mauern gemalt, Seefahrer und Seejungfrauen, Poetisches und Widerständiges. Die Altstadt von Taranto scheint dem Untergang geweiht, ist für mich aber alles andere als trostlos.