Luigi Ghirri - Puglia

 

"Ein altes Haus, eine schattige Veranda, ein Ziegeldach, eine verblasste arabische Dekoration, ein Mann, der an der Wand sitzt, eine verlassene Straße, ein mediterraner Baum: Diese alte Fotografie bewegt mich, weil ich ganz einfach „dort“ leben möchte. Für mich müssen Fotografien von Landschaften (städtisch oder ländlich) bewohnbar, nicht besuchbar sein. Angesichts dieser Lieblingslandschaften ist es, als ob ich mir sicher wäre, dass ich dort gewesen bin oder dorthin gehen muss."

( Roland Barthes: Die helle Kammer 1980)

 

 

1981 nimmt Ghirri eine Einladung des Galeristen Gianni Leone aus Bari an und stellt in der Galeria Spazio Immagine aus. Die Ausstellung heisst „Still Life“ (1975 - 1979), Fotografien von Landschaftsgemälden. Ghirri bereist daufhin erstmals Apulien und 1982 entsteht die Arbeit „100 Bilder für Apulien“, die während der Fiera Levante gezeigt werden.

 

-> 93 der 100 Bilder sind hier in der digitalen Bibliothek zu sehen

 

Der Blick auf Apulien unterscheidet sich zunächst nicht fundamental von den Fotografien, die Ghirri von anderen iatleinische Landschaften gemacht hat. Melancholie und Ungenauigkeit sind für Ghirri die treffendsten Begriffe für das, was er ausgelöschte Geografie nennt. „Weil der Horizont fast immer Himmel und Erde verwechselt, weil die Landschaft auch die Stadt und die Dörfer bevölkert (...) weil die Straßen immer zum selben Punkt zu führen scheinen und somit nirgendwo hin.“

 

-> 121 Fotos der Serie Italienische Landschaft ( paessagio italiano )

 

In den folgenden Jahren bis zu seinem Tod 1992 kehrt Ghirri immer wieder nach Apulien zurück, fotografiert, macht Urlaub, trifft Freunde wie den in Apulien lebenden Musiker Lucio Dalla. In -> Polignano a Mare, das damals noch ein Fischerdorf war ( heute ein Touristenhotspot), wurden Projekte gestartet, die letztendlich dazu führten, dass es in Polignano ein Musem für zeitgenössische Kunst gibt, das -> Museo Pino Pascali.

 

Posthum ist 2023 das Buch „Luigi Ghirri – Puglia tra albe e tramonte“ (Apulien zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang) erschienen. Einige dieser Fotos wurden bisher nicht veröffentlicht , andere gehören zu der Arbeit „ Italienische Landschaft“. In keinem seiner  Essay findet sich ein Hinweis darauf, dass Apulien Ghirri besonders fasziniert hätte, auch wenn die Apulier gern für sich in Anspruch nehmen, hier hätte Ghirri endlich die authentische Landschaft gefunden und Apulien sei ein Wendepunkt in seiner Karriere gewesen. Die veröffentlichten Fotos unterscheiden sich aber in der Tat von allen anderen bisher veröffentlichten Fotos: sie zeigen Menschen, vor allem Kinder, die teilweise direkt in die Kamera sehen. Vielleicht hat Ghirri in den apulischen Altstädten tatsächlich gefunden, was einer bewohnbaren Landschaft am nächsten kommt.

 

In den Bildern, die zum Teil mit einer Mittelformatkamera aufgenommen wurden, verlieren die Strassen sich nicht mehr in der Ferne, stattdessen werden die labyrintischen Gassen in den historischen Zentren , die Nachbarschaftshöfe und Plätze zu Orten der Begegnung, Orte die auch deshalb familiär sind, weil er hier mir seiner Familie Urlaub machte.

 

-> mehr über Luigi Ghirri , seine Fotografien und Essays