Jahrhunderte alte Olivenbäume sind das Wahrzeichen Apuliens und lebendige Zeugen einer langen Geschichte von Invasionen, die auch zur kulturellen Vielfalt
Apuliens beigetragen haben .
Wer aktuell also im April 2024 "olivenbäume apulien" googelt, wird auf der ersten Seite von google 10 Artikel finden. 9 Artikel sind Schreckensmeldungen über das Olivenbaumsterben aufgrund eines Bakteriums namens Xyllela.
Ich möchte das Problem nicht kleinreden, aber es entsteht das Bild eines Katastrophenszenarios als gäbe es kein Morgen. Das Olivenbaumsterben betrifft vor allem einige Regionen des Salentos im Süden Apuliens und das seit 10 Jahren. Weiter im Norden sind die meisten Bäume noch gesund.
Vor zehn Jahren ereignete sich auch diese kleine Szene, als ich einige Bäume fotografieren wollte:
Ich fühle mich ein bißchen wie ein Eindringling, als ich einfach auf das Grundstück dieses Bauern laufe, um seine Bäume zu fotografieren, aber ich sehe niemanden, den ich um Erlaubnis fragen könnte. Nach 10 Minuten erscheint dann ein älterer Herr und er ist erstmal wenig begeistert über meinen unangekündigten Besuch. Ich entschuldige mich und frage, ob ich seine wunderschönen Bäume fotografieren darf. Etwas zerknirscht willigt er ein, aber dann wird er freundlicher. Wo ich denn herkomme, will er wissen.
"Aus Deutschland." sage ich.
"Aha, da hast du wenigstens ein schönes Andenken an Apulien mit den Fotos." Und nicht ohne Stolz erzählt er: "Diese Bäume gehören zu den ältesten und größten in Apulien. Sie sind einige hundert Jahre alt und haben wahrscheinlich schon die Belagerung durch die Griechen und andere Eroberungen miterlebt. Wer weiß.."
"Und jetzt erleben sie die Belagerung durch deutsche Touristen." sage ich und er lächelt vielsagend.
Ein Viertel der Fläche Apuliens ist mit Olivenbäumen bedeckt, ihre Zahl wird auf 60 Millionen geschätzt. Das sind 40-50 Prozent aller Olivenbäume Italiens. Im 6. Jahrhundert vor Christus wurden sie von den Phöniziern über Griechenland nach Süditalien gebracht. Ein Kranz aus Oliven galt als hohe Auszeichnung und Zeichen des Friedens. Heute sind die ältesten Olivenbäume fast 1000 Jahre alt und vor allem in der Gegend von Fasano, Conversano und Ostuni zu finden.
Nicht nur Generationen von Bauern haben ihre Spuren an diesen Bäumen hinterlassen, sondern auch Wind und Wetter. Manche Bäume sind so schief, dass sie von Steinen gestützt werden, andere sehen aus als würden sie sich gegenseitig stützen oder umarmen. Für mich wirken sie fast wie barocke Statuen und erzählen vor allem von einem: Beharrlichkeit. Die brauchten die Apulier im Laufe ihrer Geschichte auch, denn das Land wurde von zahlreichen Eroberern heimgesucht.
Im 8. Jhd. v. Chr. bekam die Urbevölkerung Apuliens, die Iapyger, erstmals „Besuch“ aus dem Ausland: griechische Siedler verließen ihre Heimat in Richtung Unteritalien. Tarent (Taranto), Callipolis (Gallipoli) und Neapolis (Polignano) wurden von Griechen gegründet und für Apulien wurde es eine Zeit kultureller Blüte.
Im 6. Jhd. v. Chr. begannen sich die Römer für Apulien zu interessieren. Sie nannten es zwar „finis terrae“ (Ende der Welt), aber Apulien gelangte nicht nur aufgrund seiner Landwirtschaft
(Öl, Wein, Getreide), sondern vor allem aufgrund seiner Lage zu wirtschaftlicher Blüte. Es wurde Drehscheibe für den Handel mit dem Orient. Brindisi wurde wichtigster Hafen, die Via Appia und die Via Traiana waren Direktverbindungen nach Rom. In den folgenden Jahrhunderten stritten Araber, Langobarden, Goten und Byzantiner immer wieder um die Vormacht in Apulien.
Im 6. Jhd. n. Chr. wurde Apulien dann byzantinisch und Bari zur Hauptstadt bis im 11. Jhd. die Normannen kamen. Zu den bekanntesten Förderern Apuliens gehörte der Stauferkönig Friedrich II (1212-1250), der hunderte von Kastellen (die bekanntesten in Trani, Barletta, Molfetta, Bari, Brindisi) bauen ließ, darunter auch das berühmte Castel del Monte (UNESCO - Weltkulturerbe). Vom 13. - 19. Jhd. eroberten Franzosen, Spanier, Österreicher, dann wieder Franzosen das Land bis es 1860 an das Königreich Italien angeschlossen wurde. Von 1943-1944 war Brindisi vorübergehend italienischer Regierungssitz, weil die Deutschen Rom besetzten.
-> mehr zum Castel del Monte
Die Städte und Dörfer Apuliens sind ein Spiegelbild des multikulturellen Gemischs, das im Laufe der Jahrhunderte Apulien bevölkert hat. Zeiten kultureller und wirtschaftlicher Blüte wechselten in Apulien immer wieder mit Epochen des Niedergangs ab. Unter der Regentschaft von Friedrich II wurde Apulien im 13. Jahrhundert zum Machtzentrum Europas.
Rada beschreibt das heutige Apulien als orientalisches Italien und fühlt sich angesichts der ->weißen Städte nach Griechenland oder Nordafrika versetzt. In fast jedem Ort Apuliens gibt es ein Hotel Orient, eine Via Sarazeni und eine Piazza Levante (Morgenland) und der Bareser Dialekt ist eine Mischung aus italienischen, griechischen und arabischen Wörtern.
Nicki Vendola, von 2005 bis 2015 Präsident von Apulien, beschrieb seinen multikulturellen Traum von Apulien so:
"Es ist ein Traum von Vermischung: eine Komposition arabischer Noten und balkanischer Klänge; dazu Griechisches - wie die weißen Steine von Otranto- und Provencalisches - wie in den Klängen des Appenins. Ich träume den Traum eines friedlichen Miteinanders, von gegenseitiger Bereicherung bei aller Andersartigkeit, von einem Zusammenleben, bei dem alle Beteiligten gewinnen. Genau hier, an diesem Ort der Erde, der so reich ist an Erzählungen, ein Ort, der von Kreuzungen und Vermischung der Kulturen nur so strotzt."
Die Menschen aus Apulien betonen gerne die Vielfalt des Landes und seiner Bewohner. Deshalb sprechen sie von Apulien lieber in der Mehrzahl als "Le Puglie" anstatt von "La Puglia". Das eher bäuerlich geprägte Hinterland unterscheidet sich sehr von Handelsstädten wie Bari, Trani oder Molfetta.
Wo unterschiedliche Kulturen und Menschen friedlich miteinander leben wollen, müssen Kompromisse gemacht werden. Vieles was uns in Deutschland unvereinbar scheint, geht in Apulien zusammen: Von 2005 bis 2015 regierte mit Vendola ein Ministerpräsident, der sich selbst als katholisch, schwul und kommunistisch bezeichnet. Die katholische Kirche musste lernen, heidnische Bräuche wie den Tarantismo zu akzeptieren und die Tarantella-Band ->TerraRoss, bekannt für eher kritische Texte, teilt sich bei ihren Auftritten bei Patronatsfesten schonmal die Bühne mit dem Pfarrer.
Zunehmend besinnt man sich in Apulien auf die eigene Geschichte und Kulturen.
Gegenüber Versuchen, die Vielfalt der Kulturen gleichzuschalten (Industrialisierung, Globalisierung) zeigen sich "Le Pugliese" widerständig und störrisch wie Olivenbäume. Gerne wird in Apulien die Legende erzählt, dass die Mc Donalds Filiale in -> Altamura nach wenigen Wochen aus Mangel an Kundschaft schließen musste (keine Chance gegen das berühmte Brot aus Altamura). Die apulische Küche soll die beste Italiens sein ( sagen nicht nur die Apulier) und Olivenöl spielt dabei eine wichtige Rolle.
In dem Landstrich, der als "Ebene der Olivenbäume" bekannt ist und an die Gemeinden Ostuni, Fasano, Monopoli und Carovigno grenzt, gibt es eine hohe Anzahl von tausendjährigen Olivenbäumen, die
bis zu 3.000 Jahre alt sein können und auf die Zeit der Messapier zurückgehen. Dankt eines Netzes von Pfaden, Schafswegen und alten Straßen, die das Projekt Millenari di Puglia ausgewählt
hat, ist es möglich, einige der größten und spektakulärsten tausendjährigen Olivenbäume zu besuchen.
Dank intensiver Forschungsarbeit setzt Millenari di Puglia die Zählung der größten und charakteristischsten tausendjährigen Olivenbäume fort. Einige Routen beinhalten auch Besuche von Masserien oder alten unterirdischen Ölmühlen, die von der tausendjährigen Ölkultur Apuliens zeugen. Auf der Route der Giganten gibt es die Möglichkeit, Olivenbäume mit einem Umfang von mehr als 10 Metern zu bewundern (gemessen in 130 cm Höhe über dem Boden!). Majestätische Riesenolivenbäume in den kuriosesten skulpturalen Formen.
Millenari di Puglia organisiert jedes Wochenende und das ganze Jahr über Naturausflüge im Itria-Tal und im Salento zu oft wenig bekannten Orten .
-> webseite Millenari di Puglia
Der designierte EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit warnte, dass Xylella "die größte phytosanitäre Krise ist, mit der die EU seit vielen Jahren konfrontiert ist". Vorerst bleibt es in Gebieten, in denen die Behörden versuchen, die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen, bei der Strategie, den kranken Baum und alle Mandelbäume im Umkreis von sieben Hektar zu fällen. "Die einzige Möglichkeit, die Krankheit zu bekämpfen, ist die vollständige Ausrottung der infizierten Bäume und ihrer Umgebung, da es bisher keine Behandlung für die Bakterien gibt", erklärte EU-Kommissar Andriukaitis in einer E-Mail an Olive Oil Times.
Der Kulturwisssenschaftker Charles Eisenstein zeigt dass einige Bauern eine andere Meinung haben. Er schreibt auf seinem blog:
Die Landwirte, die über die Koexistenz mit Xylella berichten, sprechen von der Anpflanzung resistenter Sorten von Olivenbäumen (ich bin mir nicht sicher, ob es Parallelen zu Mandelbaumarten gibt). Dieser Landwirt sagt: "Das ist alles falsch. Man kann nicht alle Olivenbäume abholzen. Wir müssen versuchen, mit der Krankheit zu leben, wie es die Landwirte schon immer getan haben". Ich weiß nicht, was er damit meint. Aber das ist eine viel komplexere Beziehung als nur das "Problem" zu pathologisieren und zu versuchen, es auszurotten - was sich als kontraproduktiv erwiesen hat.
-> Charles Eisenstein: Xyllela: Bösewicht oder Symptom. Von Mandeln und Oliven
Manu Manu Riforesta!
Um die Wüstenbildung, durch das Phänomen der schnellen Austrocknung von Pflanzen, durch das Bakterium Xylella und den massiven Einsatz von Pestiziden zu bekämpfen, wurde Manu Manu Riforesta!
gegründet. Es ist ein Verein, der ein Projekt zur Anpflanzung eines Waldes im Gebiet von Paduli durchführt und der für die Verteidigung der Artenvielfalt des Gebietes kämpft.
->
Artikel Manu Manu Riforesta / italia-che-cambia ( italienisch)
Filme:
Semina il vento ( Wind säen). Eine junge Agrarwissenschaftsstudentin kehrt nach langer Abwesenheit in ihr Elternhaus in Apulien zurück, wo die von einem Insekt befallenen Olivenbäume keine Früchte mehr tragen. Vor der Kulisse des katholischen Landes verwebt der Film Modernität und Tradition, Rebellion und Konservatismus, Wissenschaft und heidnischen Glauben. Von Danilo Caputo, der selbst aus einem Dorf in Apulien stammt.
Der Olivenbaum ( El Olivo, Spanien, 2016 ). Gegen den Willen des Großvaters verkauft die Familie einen 2000 Jahre alte Olivenbaum an einen Düsseldorfer Energiekonzern, der ihn als Wahrzeichen für Nachhaltigkeit in der Lobby der Firmenzentrale aufgestellt. Enkelin Alma macht sich gegen alle Widerstände auf, um den Baum zurückzuholen. Ein wunderbar tiefgründiger und absurd komischer Film aus Spanien, in dem der Olivenbaum zum Sinnbild einer bedrohten Kultur wird.
Auf diesem Blog:
-> Die Geschichte der Bracianti - Landarbeiter und Kleinbauern in Apulien